Konferenz im Baskenland: Lehrkräfte in der Selbstfindungsphase
Am Wochenende vom 5. zum 7. April 2019 trafen sich etwa 130 Wiki-Leute und Lehrkräfte im Baskenland. Die user group für baskische Kultur (de facto einem Wikimedia-Landesverein vergleichbar) hatte zur Konferenz Wikipedia+Education eingeladen. Der bleibende Eindruck aus Donostia/San Sebastian: Die Leute und Kräfte sind noch auf dem Weg. Irgendwohin.
Bereits der erste größere Beitrag machte deutlich, wo es noch viel zu suchen und zu finden gibt. Die Bildungsexpertin Mary Burns erklärte das Lehren und Lernen an sich und gab der Wikimedia-Bewegung den Tipp mit: Liefert Lehrkräften nicht Inhaltspakete oder Antworten, sondern Fragen. Sie selbst veranschaulichte dies durch ihre eigenen Fragen an das Publikum. Die Fragen bringen den Lernenden dazu, selbst Konzepte miteinander zu verknüpfen und Lösungen zu erarbeiten. Das gehe im Unterrichtsalltag der Schulen leider oft unter.
A propos Wikimedia-Bewegung: Diese war durch die wohl mächtigste Frau vertreten, die auf irgendeine Weise mit Wikis zu tun hat, nämlich Katherine Maher. Die Direktorin der Wikimedia Foundation (WMF) erinnerte die Teilnehmer an die laufenden Diskussionen rundum die neue Strategie. Sie war nicht die Einzige aus San Francisco, aber die Vertreter der Education-Abteilung der WMF dominierten die Veranstaltung auch nicht, weder zahlenmäßig noch inhaltlich.
Außer der WMF gibt es nämlich noch weitere Akteure auf dem Gebiet. In Nordamerika ist seit Jahren die Wiki Education Foundation aktiv, in den übrigen Weltteilen gibt es die altvertrauten Wikimedia-Landesvereine wie Wikimedia Deutschland, und viertens hat sich 2018 eine user group zum Thema Wikipedia & Education gegründet. In einem Interview hat mir Filip aus dem Vorstand erklärt, dass man mit den übrigen Akteuren zusammenarbeitet, aber noch am Anfang steht und sich orientiert. Die user group netzwerkt mit Ehrenamtlichen und Berufstätigen, hat aber noch keine eigenen Resourcen und betreibt keine sogenannte Programmarbeit.
Programmatisches und Programm
Bei einem diversen und global ausgerichteten Veranstaltungsprogramm muss man doch leider sagen: Vieles war ein Mehr vom selben. Jemand hat ein Universitätsseminar geleitet, in dem Studis Wikipedia-Artikel geschrieben haben, und der Jemand hat darüber einen Artikel in einer Fachzeitschrift veröffentlicht. Jemand anders lässt Schüler etwas mit der Wikipedia machen. Als Teilnehmer von Wikipedia-Treffen hat man das so oder so ähnlich schon häufig gehört. Das eigentlich Besondere oder Neue, von dem man etwas lernen kann, blitzte ab und zu im Beitrag auf.
Daneben wurde in Workshops etwas mehr Praxis gezeigt. Häufig ging es um das Vorstellen von Software-Tools wie dem bekannten Dashboard, mit dem Lehrkräfte die einzelnen, von Studis bearbeiteten Wikipedia-Artikel besser verfolgen können. Eigentlich fehlte etwas Drittes, wie mir andere Teilnehmer bestätigten: Erfahrungsberichte statt Erfolgsberichten, nämlich Beiträge, in denen die Praxis des Wiki-Unterrichtens konkret beleuchtet wird, das Ausprobieren, Scheitern, Nachdenken und neue Planen. Das soll kein Vorwurf an Veranstalter oder Referenten sein. Aber hier liegt sicherlich noch viel lohnendes Neuland vor uns.
Wiki von Kindern? Für Kinder? Beides?
Ich selbst war Stipendiat der baskischen user group, die sich von ihrer besten Seite gezeigt hat. Der Grund meiner Anwesenheit war vor allem die Begegnung mit anderen Menschen, die in ihren Ländern Wikis für Kinder oder Kinder-Enzyklopädien betreiben. Die Txikipedia etwa macht das innerhalb der baskischen Wikipedia, das Klexikon, das ich 2014 mitgegründet habe, hat einen Trägerverein gefunden. Ilario aus der Schweiz sprach auf unserer Podiumsdiskussion über Wikimini.
Vikidia war durch den italienischen Zweig vertreten, der von Lehrern getragen wird. Für sie ist Vikidia ein Unterrichtsinstrument. Ich habe gelernt, wie sie Wikiversity, concept maps und andere Mittel einsetzen, um 10-Jährige enzyklopädische Artikel schreiben zu lassen. Dieser ganze Hintergrund und Aufwand war mir so nicht bewusst gewesen.
Umgekehrt sagten mir die Italiener, dass sie durch meinen Beitrag erstmals die Konzepte des Klexikons verstanden haben: Beim Klexikon steht die Qualität der Artikel im Vordergrund, die normalerweise von Erwachsenen geschrieben werden. Gefördert wird die Kollaboration durch frühzeitige Lemma-Diskussionen und einen Entwurfsnamensraum. Beide Arten von Wikis – die Unterrichtsplattform und das Inhaltswiki – haben eben ganz unterschiedliche Ziele, Methoden und Ergebnisse. (Mehr zum Thema siehe hier.)
Sprache als Politikum?
Ein etwas kurioses social event war eine Busfahrt zu einem baskischen Marsch, der Korrika. Unser kleiner Abschnitt, bei dem wir zum Mitmarschieren eingeladen waren, lag im französischen Teil des Baskenlandes. Man versicherte mir, dass es sich um eine überparteiliche Veranstaltung handelt (ich machte mir eher Sorgen, dass wir in eine separatistische Bewegung hineingezogen wurden). Das Wetter war deutlich freundlicher als im spanischen Teil, und die Landschaft belohnte die Anstrengung ebenfalls.
Mitgenommen habe ich: Hausaufgaben mit Blick auf das Klexikon. Interessantes zur Nachrichtenlage aus Gesprächen mit Iren und Walisern. Visitenkarten von taiwanischen Ethnologen, die Minderheitssprachen mit Wikis unterstützen wollen. Dass mein Italienisch auf dem Niveau eines Liebhabers von Opern und Pizzas stehengeblieben ist (und dann noch jeweils von Wagner). Ein Auffrischen alter Kontakte aus Deutschland und den USA. Und Anregungen für meine eigenen edukativen Aktivitäten, vor allem: noch mehr Fragen stellen.
Ziko van Dijk 10. April 2019