Stand der Strategie
Der Prozess der Strategie 2030 für die Wikimedia-Bewegung beschäftigt uns nun schon ähnlich lange wie der Brexit. Kürzlich wurde eine Mail versandt, die den Stand der Dinge ein wenig beleuchtet. Nicole Ebber schrieb auf Wikimedia-l vom Arbeitsgruppen-Treffen am Wochenende vom 20.-22. September 2019 in Tunis.
Der Mail ist folgende Chronik zu entnehmen:
- Es gab im August die „ursprünglichen“ Entwürfe der WMF-Arbeitsgruppen für die Strategie.
- Darauf folgten Reaktionen der Community.
- Es wurden im September „überarbeitete“ Versionen der Entwürfe veröffentlicht. Diese Überarbeitungen heißen auf Meta „Iteration 2“ und auch „Pre Sprint“; in der URL findet man einfach nur „Sprint“. Man beachte immer die URL und verwende nicht die Navigationsleiste, denn die Links in der Navi verweisen nur auf die ursprünglichen Versionen.
- Das Arbeitsgruppen-Treffen in Tunis hieß „Harmonization Sprint“. Darauf bezieht sich das Wort Sprint. Die „Pre-Sprint“-Versionen sind also im Vorfeld für den Sprint gedacht gewesen, sie sind nicht etwa die Ergebnisse des Sprints (des Treffens in Tunis). Laut Mail sollten in Tunis die endgültigen WMF-Arbeitsgruppen-Empfehlungen für den WMF-Vorstand erarbeitet werden. Dies sei aber daran gescheitert, dass die WMF-Kerngruppe (Core Team) nicht ausreichend gesteuert und für Deutlichkeit gesorgt habe.
- Die WMF-Kerngruppe beugt sich nun über die Diskussionsmateralien und Ergebnisse. Der Zeitplan werde angepasst werden müssen. Ziel sei ein vereinheitlichtes Paket an Empfehlungen, es werde auch überlegt, eine weitere Gelegenheit für Community-Feedback einzubauen.
Die ursprünglichen Entwürfe waren von den Wikimedia-Communitys teils interessiert, teils scharf ablehnend empfangen worden. Die Entwurfsautoren hatten zwar ein gutes Schema vorgegeben bekommen, mit dem u.a. die konkrete Empfehlung, der Hintergrund und die Zukunftsprognose und die erwarteten Folgen beschrieben werden sollten. In der Realität waren die Empfehlungen allerdings oftmals wenig ausgearbeitet oder enthielten sogar offensichtliche (und mit TODO gekennzeichnete) Lücken. An einer Stelle hieß es zu den möglichen negativen Folgen knapp, dass irgendjemand in der Community halt immer negative Konnotationen habe. Oder aber man hatte Fußnoten zur wissenschaftlichen Untermauerung eingefügt, dann stellte sich aber heraus, dass einige der verlinkten „Quellen“ nicht dazu geeignet waren, die Behauptungen der Empfehlung zu stützen.
Man darf sich fragen, ob es eine gute Idee war, diese ursprünglichen Entwürfe als key step zu veröffentlichen. Wenn man einen so großen Kreis von Wikimedia-Ehrenamtlichen darum bittet, Feedback zu Entwürfen zu geben, dann sollten diese Entwürfe einigermaßen durchdacht und fertig sein. Schließlich hätten die Empfehlungen dieser Entwürfe die Tätigkeit der ehrenamtlichen Mitmacher gravierend beeinflusst, wenn nicht beeinträchtigt. Es zeigte sich als eine übergroße Herausforderung, eine Lanze für Neulinge und mehr Offenheit zu brechen, ohne die bisherigen Ehrenamtlichen (denen schließlich die Wikipedia zu verdanken ist) vor den Kopf zu stoßen und grundlegende Werte der Bewegung zu verleugnen.
Die „Iteration-2-Empfehlungen“ sehen wie ein richtiger Schritt vorwärts aus. Die am meisten hahnebüchenen Vorschläge – beispielsweise, dass Neulinge bei der Registrierung nach sexueller Orientierung und Rasse gefragt werden sollen – sind verschwunden. Mal sind diese überarbeiteten Empfehlungen auf ein vages Bekenntnis zu mehr Offenheit zurückgestutzt worden, mal enthalten sie durchaus konkrete Vorstellungen etwa zur Ämtertrennung in den Wikis. Allerdings: Da die „Iteration-2-Empfehlungen“ nur ein Zwischenschritt sind, weiß man nicht, wie viel Arbeit man in eine gründliche Lektüre stecken möchte.
Der Prozess der Strategie 2030 ist eine wichtige Chance, die Wikimedia-Bewegung voranzubringen und gravierende Probleme anzupacken. Vieles, was man auf dem Weg bislang lesen und hören musste, führte zu Enttäuschungen und Empörung. Es besteht aber immer noch die Möglichkeit, dass der Prozess ein produktives Ende findet. Hoffentlich ein Besseres als der Brexit.
Ziko van Dijk, 3.10.2019